Hanning will Potsdam zum Mittelpunkt der Handball-Nachwuchsförderung machen.
Füchse-Chef Bob Hanning hat kurz vor der Heim-EM einen Vorschlag für die Nachwuchsförderung im deutschen Handball unterbreitet. Er will den VfL Potsdam zum „Team Deutschland“ machen – auch wenn die Füchse Berlin darunter leiden würden.
Bob Hanning, Geschäftsführer der Füchse Berlin und Top-Funktionär im deutschen Handball, plant ein „Team Deutschland“ in der Handball-Bundesliga. Über dieses „Angebot an den Handball“ informierte er am Donnerstag auf einer virtuellen Pressekonferenz. Als Teamgefäß dafür soll der VfL Potsdam dienen, der von Hanning trainiert wird und als aktueller Tabellenführer gute Chancen hat, in dieser Saison in die Bundesliga aufzusteigen. Dies soll in enger Koordination mit der Handball-Bundesliga (HBL), allen Vereinen und dem Deutschen Handballbund (DHB) geschehen.
Ziel des Plans ist, die nationale Nachwuchsförderung neu aufzustellen, indem ab der kommenden Saison die größten Talente Deutschlands in Potsdam zusammengezogen werden, um damit den mittel- bis langfristigen Erfolg der Nationalmannschaft zu fördern. „Wir können mit unserem ‚Team Deutschland‘ den mittel- bis langfristigen Erfolg der Nationalmannschaft nicht garantieren, wir können ihn aber ein gutes Stück wahrscheinlicher machen“, sagte Hanning.
Der Plan mit dem VfL Potsdam
Der genaue Plan Hannings sieht vor, den VfL Potsdam im Falle des Erstliga-Aufstiegs zur zentralen Anlaufstelle für deutsche Nachwuchstalente zu machen. Die großen Klubs des Landes hätten so die Möglichkeit, ihren Eigengewächsen auf dem bestmöglichen Niveau Spielpraxis zu geben.
Seit nun schon einiger Zeit hält sich die Kritik, dass es dem deutschen Handballnachwuchs an Spielzeit fehlen würde – mit seinem erdachten Modell will Hanning gegensteuern. „Man sagt immer, dass die Deutschen einfach besser werden müssten, um sich durchzusetzen. Aber wenn in der Hälfte der Bundesligavereine mehr als zehn Nicht-Einheimische im 16er-Kader stehen, ist das problematisch“, hatte Bundestrainer Alfred Gislason der „Rheinischen Post“ gesagt.
„Wir Klubs sind dem DHB ganz sicher nichts schuldig. Ich sehe uns aber in der Pflicht dem deutschen Handball gegenüber. Nur wenn wir jetzt investieren – finanziell, aber auch mit Ideen – dann können wir etwas ganz Großes gemeinsam schaffen“, so der 55-Jährige. Talente könnten demnach für ein Jahr beim VfL Potsdam zwischengeparkt werden, um sich zu entwickeln – ein Konstrukt, von dem Spieler, abgebender Verein und Potsdam gleichermaßen profitieren sollen.
Hanning stellt gleichzeitig klar, dass Potsdam keine sportliche Sonderrolle im deutschen Handball zukommen soll. „Ich bin kein Freund von künstlichen Gebilden“, erklärt Hanning, der beispielsweise klarstellt, dass Potsdam in jenem Szenario genauso absteigen könnte wie jeder andere Klub auch. Es soll keine „Wildcard“ für einen permanenten Ligaplatz geben. Zudem würde der VfL auch die Gehälter der etwaigen Leihspieler ganz normal für ein Jahr übernehmen.
Potsdam soll seine Identität behalten
Ohnehin betont Hanning immer wieder, dass der VfL Potsdam trotz jener möglichen Umstrukturierung seine Identität und Eigenständigkeit behalten solle. So soll der Stamm der Potsdam-Mannschaft auch im Falle des Aufstiegs beisammenbleiben. „Wir werden immer nur eine bestimmte Anzahl an Spielern nehmen können. Aber wir könnten mit diesem Projekt auch beweisen, dass man mit viel Talent aus Deutschland auch in der stärksten Liga der Welt bestehen kann“, so Hanning, der das Projekt zukünftig nicht mehr als Trainer sondern als „Head of Sport“ begleiten wird.
Den zukünftigen Trainer, so Hannings Vorstellung, soll der Deutsche Handballbund stellen. Als Optionen nannte Hanning U21-Bundestrainer Martin Heuberger, A-Team-Co-Trainer Erik Wudtke, U18/19-Bundestrainer Emir Kurtagic sowie Jochen Beppler, Chef-Bundestrainer Nachwuchs beim DHB. Klar scheint zu sein: Das Projekt „Team Deutschland“ scheint fest an den Aufstieg gekoppelt. Für Förderung innerhalb der zweiten Liga gebe es laut Hanning „genug Alternativen“. Man will es in der 1. Liga beweisen. „Das kann natürlich auch total in die Hose gehen. Wir können den Erfolg nicht garantieren.“
„Für die Füchse ist es eine denkbar beschissene Situation“
Dass die enge Zusammenarbeit zwischen einem großen Klub und dem VfL Potsdam funktionieren kann, beweisen der VfL und die Füchse Berlin bereits seit Jahren. Seit 2014 besteht eine Kooperation der beiden Vereine: Die Füchse treiben die Professionalisierung bei Potsdam voran, dafür können sie ihre Talente beim VfL zwischenparken und entwickeln – zunächst in der 3. Liga, seit dem Aufstieg im Jahr 2022 in der 2. Liga.
„Es gibt keinen Verein, der sich so schnell unter den gegebenen Umständen entwickelt hat, wie der VfL Potsdam. Aus einem wirklichen Amateurklub ist ein Klub mit einem professionellen Umfeld geworden. Hier wächst im Moment alles“, bilanzierte Hanning, der seit 2021 ehrenamtlicher Cheftrainer beim VfL ist, im April 2023.
Aus jener Zusammenarbeit sind zuletzt die steil verlaufenden Karrieren von Füchse-Talenten wie Max Beneke und EM-Fahrer Nils Lichtlein entsprungen. Mit den beiden, Lasse Ludwig, Moritz Sauter, Matthes Langhoff und Tim Freihöfer stellten die Berliner gleich sechs Spieler im deutschen Aufgebot, das 2023 die U21-WM gewann. Sie alle waren einst bei Potsdam oder spielen noch immer in der brandenburgischen Landeshauptstadt.
Sollte Potsdam in der laufenden Saison tatsächlich aufsteigen, würde das doppelte Spielrecht für beide Vereine allerdings erlöschen, da es innerhalb derselben Liga nicht erlaubt ist. „Für die Füchse ist es eine denkbar beschissene Situation“, resümiert Hanning. Als Geschäftsführer würde er das aktuelle Förderungssystem gerne beibehalten, doch als Trainer will er den maximalen Erfolg – und damit das unausweichliche Ende der Kooperation. „Wenn es möglich ist, werden wir es gemeinsam stemmen und den Aufstieg möglich machen“, so Hanning ambitioniert.
Hannings Vorschlag stößt auf gemischte Resonanz
Frank von Behren, Geschäftsführer beim VfL Potsdam, findet Hannings Vorschlag, im Falle des Aufstiegs eine nationale Förderstätte in der höchsten Liga zu etablieren, „einfach überragend“. Er stünde voll hinter der Idee und erklärt rbb|24: „Seit Jahren diskutieren wir in Deutschland, wie wir die Anschlussförderung von Jugend zum Männerbereich verbessern können. Eine Art Juniorennationalmannschaft in der Bundesliga zu etablieren, wäre nun ein großer Schritt und eine große Chance, die Nachwuchsförderung zu optimieren.“
Der Verband und vor allem die Liga reagieren hingegen deutlich verhaltener. DHB-Präsident Andreas Michelmann bezeichnete Hannings Vorstoß als „spannendes Thema“, mit diesem könne man sich so kurz vor der Heim-EM aber nicht beschäftigen. „Nach dem Turnier werden wir uns aber ganz sicher mit den Plänen auseinandersetzen“, sagte Michelmann dem SID. Liga-Geschäftsführer Frank Bohmann äußert sich kritischer. „Es ist ganz sicher nicht im Sinne des Wettbewerbs, seine besten Talente an einen direkten Konkurrenten abzugeben“, erklärt er dem SID. „Konzentration ist prinzipiell nicht schlecht, aus den besten Nachwuchsspielern aber ein Team zu formen, das zudem im Wettbewerb zu anderen Wirtschaftsunternehmen steht, halte ich für problematisch. Bei anderen Bundesligisten wird schließlich auch sehr gute Arbeit geleistet.“
Hanning beteuerte zwar, bereits mit Verantwortlichen gesprochen und eine „offene“ Reaktion erhalten zu haben, das bisherige Meinungsbild wirkt jedoch gemischt. Ob und wie es mit seinem Vorschlag weitergeht, soll sich im Februar nach der Heim-EM abzeichnen – und ist auch maßgeblich vom sportlichen Abschneiden des VfL Potsdam abhängig.
Redakteur: Dirk Thomas Meerkamp (Chefredakteur)