Wie geht es bei Hertha BSC ohne Kay Bernstein weiter?
Der Tod von Präsident Kay Bernstein hat eine riesige Lücke bei Hertha BSC gerissen. Doch der Verein wird in anderer Personalaufstellung weitermachen müssen – auch weil in den kommenden Wochen und Monaten große Herausforderungen anstehen.
„Es geht weiter, wenn auch anders.“ Mit nur wenigen Worten fasste Sportdirektor Benjamin Weber am vergangenen Sonntag die aktuelle Situation von Hertha BSC zusammen. Der plötzliche Tod von Kay Bernstein hat den Hauptstadtverein in eine Schockstarre versetzt. Dort, wo der so omnipräsente Präsident über eineinhalb Jahre so tiefgreifend gewirkt hatte, klafft nun eine riesige Lücke. Eine Lücke, die der Verein im Kollektiv wird schließen müssen, und das – das Tagesgeschäft Fußball erlaubt keine lange Pause – möglichst schnell. Die Aufgaben und Herausforderungen der kurz- wie mittelfristigen Zukunft stehen bereits bevor.
Die Frage nach Bernstein Nachfolge wird im Herbst beantwortet
Die dringendste Frage – die nach Bernsteins Nachfolge – wurde auf die Mitgliederversammlung im kommenden Herbst verschoben. Dann wird turnusmäßig sowohl das Präsidium als auch das Amt des Präsidenten neu gewählt. Hertha-Vizepräsident Fabian Drescher hat am Freitag angekündigt, den Verein bis dahin kommissarisch als Präsident zu führen. Darüber hinaus ist klar, dass das Präsidium mit aktuell sieben Mitgliedern voll handlungsfähig ist.
Mit Drescher steht fest, dass Hertha den unter Bernstein eingeschlagenen Weg weitergehen wird. Der 41-jährige Jurist ist bereits seit 2016 Teil des Hertha-Präsidiums, hat sich 2022 aber klar Bernstein zugeordnet. Unter ihm wurde Drescher Vize-Präsident, bei einer Niederlage Bernsteins hätte er seinen Platz im Präsidium geräumt. Der Interimspräsident wird versuchen, Bernsteins Visionen weiter voranzutreiben: „Wir wollen und werden den Berliner Weg weiterführen. Für Kay. Für Hertha BSC“, erklärte er.
Satzungskommission, Ehrenamt, wirtschaftliche Konsolidierung
Eigeninitiative ist von Drescher somit nicht zu erwarten. Vielmehr geht es um die Pflege der Projekte, die Bernstein bereits so forsch vorangetrieben hatte. So zum Beispiel die in die Jahre gekommene und damit lückenhafte Vereinssatzung, an der bereits seit längerer Zeit in Form einer extra eingerichteten Kommission geschraubt wird.
An jene Satzung ist auch der Wunsch Bernsteins geknüpft, das Amt des Präsidenten zukünftig – also nach seiner Amtszeit – finanziell vergüten zu lassen. Zudem werden in geraumer Zeit die ersten Ergebnisse der Standortsuche eines neuen Hertha-Stadions vorgestellt – ein weiteres Mammutprojekt, das Bernstein entscheidend vorantreiben wollte.
Aber die wohl größte Herausforderung bleibt nach wie vor die wirtschaftliche Konsolidierung. Noch vor einem halben Jahr wackelte sogar die DFL-Lizenz. Wie Bernstein es zu Lebzeiten sagte, ist das nun nicht mehr zu befürchten. „Wir haben nicht mehr die Riesenherausforderung der alten Verbindlichkeiten. Wenn wir unsere Hausaufgaben machen und weiter diszipliniert bleiben, sollten wir 2025/26 aus der Sanierung kommen“, sagte er im Wintertrainingslager gegenüber „Sport Bild“. Und doch wird Herthas finanzielle Gesundung weiterhin ein Ritt auf der Rasierklinge bleiben – vor allem, weil im November 2025 die Rückzahlung einer Anleihe in Höhe von knapp 50 Millionen Euro fällig sein wird.
Die Zukunft von Geschäftsführer Herrich ist unklar
Ein Mann, der ganz entscheidend für Herthas Wirtschaftlichkeit ist, ist Thomas E. Herrich. Er ist der letzte verbliebene von einst drei Geschäftsführern. Seit 2022 hat er sich vor allem um Herthas Konsolidierung gekümmert. Auch oder vor allem ihm ist es zu verdanken, dass die „alte Dame“ durch drastische Sparmaßnahmen der Insolvenz entgehen konnte. Auch der 59-Jährige hat sich nach Bernsteins Tod klar der Fortsetzung des „Berliner Weges“ verschrieben. Dieser sei „kein Vermächtnis, sondern ein Auftrag.“
Ein Auftrag, den Herrich womöglich nur noch bis Herbst dieses Jahres ausführt – dann läuft sein Vertrag nämlich aus. Zuletzt war Vereinskreisen zu entnehmen, dass es alles andere als sicher ist, dass er auch über diesen Zeitraum hinaus bei Hertha bleiben wird. Die Klärung dieser so Schlüsselpersonalie wird ein Hauptziel des derzeitigen Präsidiums sein müssen. Der Herbst könnte somit eine entscheidende Zeit für Herthas weitere Zukunft werden, denn urplötzlich könnte es neben einem neuen Präsidium samt Präsidenten auch eine Geschäftsführung geben. Das blau-weiße Organigramm würde sich auf einen Schlag komplett verändern.
Wer will Präsident werden?
Das liegt auch daran, dass Fabian Drescher sehr wahrscheinlich nicht für das Amt des Vereinspräsidenten kandidieren wird. Drescher verstand sich seit jeher als Mann der zweiten Reihe, der gewissenhaft und uneitel für seinen Herzensklub arbeitet. Derzeit ist davon auszugehen, dass der Volljurist und zweifache Familienvater nicht das große Rampenlicht sucht und die derzeitige Aufgabe nur aus Loyalität zu Verein und Bernstein angenommen hat.
So ist es nahezu sicher, dass Hertha BSC im Herbst 2024 einen neuen Vereinspräsidenten wählen wird. Wer das sein wird, wird sich in den kommenden Monaten herausstellen. Seit Bernsteins Amtsantritt hat sich nur der junge Unternehmer Stepan Timoshin als möglichen Kandidaten ins Spiel gebracht. Ein weiterer Name könnte Torsten-Jörn Klein sein. Dem Aufsichtsratsvorsitzenden, der schon seit vielen Jahren bei Hertha Gremienarbeit betreibt, werden schon länger Ambitionen für das Präsidentenamt nachgesagt. Ohne starken Gegenkandidaten könnte nun Kleins Zeit gekommen sein. Eine erneute Kandidatur von Frank Steffel, damals Gegenkandidat von Bernstein, ist nicht zu erwarten.
Das Ende der Hertha-Idylle?
Das Wirken von Kay Bernstein, es griff trotz der kurzen Amtszeit sehr tief. Er richtete sein Leben auf das Amt aus, war so präsent und aktiv wie womöglich noch kein Präsident vor ihm – und ja, in jenem Eifer überschritt er auch so manche Kompetenz. Bernstein gab Hertha die so dringend benötigte Führungsfigur, doch das kam mit einem Preis. Zum einen, weil er in einem völlig kaputten Verein so viel Raum einnahm und Entscheidungsgewalt anhäufte, dass es auch im Kollektiv schwerfallen wird, ihn zu ersetzen und neue Prozesse ohne sein Zutun zu etablieren. Die Abhängigkeit, sie war groß. Vielleicht zu groß.
Zum anderen, weil Bernstein sich zwar aufmachte, den alten „Filz“ bei Hertha zu beseitigen, dabei aber auch eigene, nicht ganz transparente Strukturen etablierte. Einige alte Weggefährten wie Marketing-Direktor Colin Jahn oder Sanierungsleiter Felix Obergföll arbeiten mittlerweile bei Hertha BSC. Diese bringen zwar die nötige Kompetenz mit und sollen dem Vernehmen nach auch kostengünstigere Arbeitskräfte als etwaige externe Kandidaten sein. Der Einstellungsprozess soll jedoch nicht gerade durchsichtig verlaufen und auch der Geschäftsstelle nicht offen kommuniziert worden sein. Auch stellt sich die Frage, wie gut jene Mitarbeitenden zukünftig mit neuen Geschäftsführenden, Präsidiumsmitgliedern oder Präsidenten, also fremden, neuen Ideen zusammenarbeiten können. Das „System Bernstein“ wird bald auf die Probe gestellt.
Der Kampf um 50+1
Und das auch in Bezug auf Investor 777 Partners. Das US-Unternehmen war schon in der Vergangenheit dafür bekannt, Einfluss bei Hertha nehmen zu wollen. So gilt es als verbrieft, dass sich 777 deutlich und immer wieder gegen Pal Dardai als Cheftrainer ausgesprochen haben soll. Bernstein war ein absoluter Verfechter von 50+1, der den Einfluss des Investors stets minimieren wollte. Ob diese Bemühungen auch ohne ihn in der jener Stärke anhalten werden, muss abgewartet werden. Es ist, wie Bernstein zuletzt noch gegenüber „Sport Bild“ sagte: „Die Reha-Maßnahmen sind angelaufen, wir lernen, selbstständig zu laufen und wieder fit zu werden. Der Weg ist aber keineswegs leicht.“ Und er muss nun ohne ihn gegangen werden.
Redakteur: Dirk Thomas Meerkamp (Chefredakteur)