Zulauf der Parteien in Berlin

Jan 30, 2024

Die AfD vermeldet Mitgliederzuwachs – die SPD verliert.

Als einzige im Berliner Abgeordnetenhaus vertretene Partei hat die AfD 2023 deutliche Zugewinne bei den Mitgliedern verzeichnet. Und: Von dem Geheimtreffen mit Rechtsextremen hat sie offenbar profitiert, wie eine Exklusiv-Recherche des rbb zeigt.

Zehntausende Menschen demonstrierten zuletzt auf den Straßen – gegen Rechtsextremismus und die AfD. Auslöser waren die Enthüllungen des Recherchenetzwerkes Correctiv über ein Geheimtreffen zwischen Vordenkern der rechtsextremen Szene und AfD-Politikern, bei dem unter anderem über die massenhafte Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund gesprochen wurde. Die AfD steht seitdem unter großem Erklärungsdruck. Ihren Mitgliederzahlen aber scheinen die Berichte nicht zu schaden.

Zulauf seit Enthüllungen

Denn nur wenige Wochen seit der Veröffentlichung über das Geheimtreffen hatte die AfD einen vergleichsweise großen Zulauf an Mitgliedern. Dem rbb liegt exklusiv vor, dass seit dem 10. Januar, dem Datum der Veröffentlichung über das Treffen in der Potsdamer Villa Adlon, innerhalb von drei Wochen 63 Anträge auf eine Mitgliedschaft und drei Austrittsgesuche eingegangen sind. Das entspricht fast einem Viertel des gesamten Zuwachses im Jahr 2023. Zum Vergleich: Die Gesamtzahl an Berliner AfD-Neumitgliedern im Jahr 2023 betrug 289 Mitglieder.

Bundesweit sieht es ähnlich aus: Im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen wollten seit den Correctiv-Veröffentlichungen laut Landesverband 250 Menschen der AfD beitreten, in Hessen 99, in Sachsen-Anhalt und Hamburg rund 50. Sechs AfD-Landesverbände wollten keine Mitgliederzahlen übermitteln.

Parteienforscher erkennt Strategie der Selbstbehauptung

Dass Menschen trotz der vielen Demos gegen Rechtsextremismus in die AfD eintreten wollen, überrascht Wolfgang Schroeder, Politologe und Parteienforscher an der Uni Kassel, nicht: „Das ist so eine Strategie der Innen-Schließung. Da wird der Eindruck erweckt: Wir müssen uns wehren. Das ist ein Moment der Selbstbehauptung.“

Ähnlich erklärt es sich auch die AfD: Laut dem Berliner Parteisprecher Ronald Gläser begründeten viele der potenziellen Neumitglieder ihre Anträge damit, dass sie nun erst recht einer „Hetzkampagne gegen die AfD“ entgegentreten wollten.

AfD legt deutlich zu, SPD verliert

Im Vergleich mit den anderen im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien verzeichnete die AfD als einzige deutliche Zugewinne im vergangenen Jahr. Ihre Mitgliederzahlen stiegen von 1.047 im Jahr 2022 auf 1.336. Das entspricht einem Plus von 28 Prozent.

Als einzige Partei verzeichnete die SPD deutliche Verluste: Sie hat im vergangenen Jahr 878 Mitglieder verloren, das entspricht fünf Prozent. Die Mitgliederzahlen von CDU, Grünen, und Linken stiegen leicht. Die CDU gewann 86 neue Mitglieder, die Linke 85 und die Grünen 18.

„SPD hat kein Profil mehr“

Experte Wolfgang Schroeder, der auch Mitglied der SPD ist, macht für die Verluste der der SPD das mangelnde Profil der Partei verantwortlich: „Die SPD ist überhaupt nicht bereit, sich an brenzlige Themen ranzumachen.“ Dazu gehöre, dass mehr Menschen arbeiten müssten, anstatt nur Sozialleistungen zu beziehen. „Die SPD redet aber der Alimentierung das Wort, nicht der Arbeit.“

Die Schwäche der beiden ehemaligen Volksparteien CDU und SPD lasse Raum für neue politische Parteien, so Schroeder, was aktuell vor allem im konservativen Spektrum für Dynamik sorge. Immer mehr Parteien zu haben, mache das Bilden von Regierungskoalitionen natürlich schwieriger, so Schroeder. Von Zuständen wie etwa in den Niederlanden mit mehr als einem Dutzend Parteien im Parlament sei Deutschland aber weit entfernt – von einer „Nicht-Regierbarkeit“ des Landes könne man also nicht sprechen, so der Parteienforscher.

Die Demonstrationen der letzten Wochen sind laut Schroeder trotz des Mitgliederzuwachses der AfD nicht vergebens gewesen: Mit dem Protest habe die Mitte der Gesellschaft gezeigt, dass Rechtsextremisten nicht für die Mehrheit der Bevölkerung sprechen.

Redakteur: Dirk Thomas Meerkamp (Chefredakteur)

Newsletter Anmeldung